
Bereits im Titel seines 1930 erschienenen Romans klagt Ödön von Horváth den nahezu zeitlosen, wohl jedem vertrauten Typus Mensch an: „Der ewige Spießer“. Michael Stacheder setzte die gesellschaftskritisch aufgeladene Handlung des Romans für „Theater für Niedersachsen“ in ein Schauspiel um, das der Jahrgang 13 des KSU am 22.2. 2025 am Hümmlinggymnasium in Sögel anschauen durfte.
Direkt zu Beginn werden im Stück die charakteristischen Züge des Spießers, in diesem Falle des Protagonisten Alfons Kobler, Kaufmann aus München, theatralisch herausgestellt. Er ist der Typ Mann, der sich im Stammlokal einen Schweinebraten mit gemischtem Salat bestellt, der ein schadenfreudiger Mitläufer ist und dessen Persönlichkeit nur eine Collage aus aufgeschnappten Parolen ist. Wenig überraschend ist es deshalb auch, dass er sich entscheidet, zur Weltausstellung in Barcelona zu reisen, nicht um sich für Kunst und Kultur zu begeistern, sondern um eine reiche Ägypterin zum Heiraten zu finden.
Der Spießer Alfons Kobler, gespielt von Manuel Klein, setzt sich also in den D-Zug Richtung Spanien und wird auf seiner Reise mit einem zerrissenen Europa der Dreißigerjahre konfrontiert: Mussolinis faschistische Schwarzhemden bewachen den Zug in Italien und auch die politischen Ideen der anderen Passagiere im Abteil reichen von Paneuropäischer Einheit über Antisemitismus bis hin zu Bolschewismus. Dabei ist Kobler intellektuell klar überfordert, antwortet aber scheinheilig stets mit „Das weiß ich doch!“ und gleicht sich im Grunde, spießig wie er ist, nur an, um sich zu beweisen.
Seine Doppelmoral, die auch im Fokus der Kritik von Horváths steht, zeigt sich besonders schön, als ein Haltestopp im Marseiller Rotlichtviertel eingelegt wird. Dort bemängelt Kobler den Verlust abendländischer Kultur, während er im selben Atemzug den Prostituierten hinterhergafft. Hier trugen sogar männlich gelesene Schauspieler Glitzer-Pumps, Federboas und Crop-tops, was für einen gelungenen Stilbruch in der Inszenierung sorgte.
Im 2. Und 3. Teil des Stücks, nach der Pause, wurden neben dem Spießer verschiedene andere Stereotype von Männern in die Kritik gebracht: Der eitle Macho Harry Priegler, der die junge Anna Pollinger als Statussymbol ausnutzt, der Nachbar Kastner, der ihr rät, endlich „praktisch zu werden“, um Geld zu verdienen oder der Künstler Achner, der sie lediglich als weiblich wohlgeformtes Modell zum Zeichnen objektifiziert. Später wird Anna Pollinger wegen einer Kündigung in der Weltwirtschaftskrise dazu gezwungen, sich zu prostituieren, was schauspielerisch durch animierte und dramatische Gestik und Mimik von Schauspielerin Nina Carolin bemerkenswert herübergebracht wurde.
Insgesamt bleibt Horváths Stück erschreckend brandaktuell, weshalb der Besuch des Theaters ein bereichernder Abend für uns Schüler:innen war. Themen wie das politisch gespaltene Europa und die darin vertretenen Mitläufer:innen oder „Spießer:innen“, die keine Zivilcourage gegen Faschismus und Antisemitismus zeigen, oder der tief in die Gesellschaft verwurzelte Sexismus, sind nach wie vor von großer Bedeutung und müssen adressiert werden.